aus: "Sterne und Weltraum" 34-8/9 (1995), S.666

Videobeobachtung von Meteoren (II)

Untersuchungen an Videometeoren


Im ersten Teil des Artikels wurde gezeigt, welche Technik zur Aufzeichnung von Meteoren geeignet ist und wie man die anfallenden Videobänder auswerten kann. Im folgenden soll nun besprochen werden, welche Untersuchungen an Meteoren sich anschließen können. Es werden erste Ergebnisse unserer Arbeit präsentiert und weitere Einsatzmöglichkeiten der Videotechnik aufgezeigt.


Hat man erst einmal eine genügend große Zahl von Meteoren auf Videobändern erfaßt, eröffnen sich schier unzählbare Möglichkeiten von Untersuchungen an Meteorströmen oder sporadischen Meteoren. Neben den klassischen Berechnungen gibt es viele Analysen, die ohne Einsatz der Videotechnik unmöglich wären. Ein Teil der Untersuchungen beruht auf den Meteorparametern, die bei der im letzten Teil beschriebenen Auswertung einzelner Meteore anfallen. Andere wiederum können direkt aus der Sichtung der Bänder abgeleitet werden, ohne daß erst komplizierte Koordinatenberechnungen durchgeführt werden müssen. Zu ihnen zählt die Bestimmung von Stromraten, zur der man lediglich die Zeitpunkte der Meteore, ihre geschätzte Helligkeit und ihre Stromzugehörigkeit kennen muß.

Meteorstromraten

Wie bereits bei der Beschreibung der Aufnahmetechnik erwähnt, kann man mit unterschiedlichen Objektiven verschieden helle Meteore und damit auch unterschiedlich große Meteoroide beobachten. Bei Verwendung eines Normal- oder Teleobjektivs gelang man in die Region der teleskopischen Meteore, die häufig eine völlig andere Charakteristik als visuelle Sternschnuppen aufweisen. Benutzt man dagegen wie bei unserer MOVIE ein Weitwinkelobjektiv, stimmen die beobachteten Meteore mit visuellen Sichtungen überein und man kann die Stromraten beider Beobachtungsmethoden vergleichen.
Die Grenzhelligkeit des Videosystems bestimmt man im einfachsten Fall durch Sternfeldzählungen am Fernseher. Zur Berechnung der Zenitraten wird dann der Standardalgorithmus für visuelle Beobachtungen verwendet. Schwierigkeiten bereitet hier lediglich der Einfluß der unterschiedlichen Wahrnehmungswahrscheinlichkeit für helle und dunkle Meteore. Man kann aber davon ausgehen, daß die Entdeckungswahrscheinlichkeit für schwächere Meteore bei der Meteorsuche am Fernseher genau wie bei normalen visuellen Beobachtungen sinkt, so daß die Formeln in erster Näherung gültig bleiben. Bei unserer MOVIE sind für gleiche Grenzgrößen jedoch geringere Stromraten als für normale Beobachter zu erwarten, da das Gesichtsfeld mit 60 Durchmesser kleiner als das eines visuellen Beobachters ist.
Abbildung 7 zeigt die Ergebnisse einer entsprechenden Berechnung für die Beobachtung am 11/12. August 1993.


Abb.7: Zenitraten der Perseiden am 11/12. August 1993. Verglichen werden die Daten unseres Videosystems (MOVIE), der drei parallelen visuellen Beobachter (DUBKA/MOLSI/NITMI) und der globalen Analyse durch die International Meteor Organization (IMO).

[Abbildung 7]

In der ersten Nachthälfte zeigt MOVIE sowohl mit den drei parallel zum Videosystem beobachtenden Amateuren als auch mit den globalen Analyseergebnissen durch die International Meteor Organization eine gute Korrelation. Interessanter Weise schnellen die Videostromraten in der Morgendämmerung jedoch enorm in die Höhe und übertreffen die visuellen Werte bei weitem. Auch wenn die Korrekturfaktoren in dieser Zeit durch die verminderte Grenzgröße stark anwachsen und damit größere Fehlerbalken verursachen, ist uns der Grund für dieses Verhalten noch nicht völlig klar. Möglicher Weise sind Videosysteme unempfindlicher gegenüber hellem Himmel als visuelle Beobachter. Endgültige Schlußfolgerungen bedürfen aber noch weiterer Analysen.

Clustereffekte

An den schon zur Stromratenberechnung verwendeten Meteorparametern lassen sich noch andere Untersuchungen vornehmen. So ermöglicht die exakte Ermittlung der Zeiten von dicht aufeinanderfolgenden Meteoren zum ersten Mal eine objektive Analyse der immer wieder diskutierten Meteorhäufungen.
Worum geht es bei diesem Phänomen? Jeder visuelle Meteorbeobachter kennt sicher das mit 'Murphy's Gesetz' vergleichbare Problem: Man liegt in einer eisig kalten Nacht im Freien und schläft fast ein, weil die Meteoraktivität wie so oft nahe Null ist. Da zuckt nach langem Warten plötzlich eine schwache Sternschnuppe am Himmel auf. Freudig erregt durchdenkt man das eben Gesehene und rekonstruiert in Gedanken die Meteorbahn. Ehe man die Sternschnuppe jedoch in die Karte einzeichnen kann, taucht zu allem Überfluß ein zweites Meteor auf. Man steht nun vor dem Problem, entweder beide Meteore im Kopf zu behalten und zu versuchen, trotzdem genaue Bahnen zu zeichnen, oder die zweite Sternschnuppe einfach zu ignoriert und damit die halbe Aktivität der nächsten Stunde zu verschenken. Da man sich einen solchen Verlust nicht leisten will, tätigt man sich in Gehirnakrobatik und verzweifelt spätestens dann, wenn als Krönung in diesem unpassenden Augenblick ein drittes Meteor aufleuchtet. Natürlich kann man nun fast sicher sein, daß die Sternschnuppen in den nächsten 15 Minuten wieder eine 'Ruhepause' einlegen werden.
Die Frage ist, ob der von Beobachtern oftmals beschriebene Effekt rein psychologischer Natur ist, oder ob Strommeteore wirklich in Gruppen gehäuft auftreten. Unsere eigenen Untersuchungen visueller Beobachtungen [3] decken sich mit den Ergebnissen anderer Amateure, daß Meteorhäufungen subjektive Empfindungen sind und vollständig den Gesetzen einer zufälligen Verteilung der Meteoroide im Raum gehorchen (Abbildung 8).


Abb.8: Untersuchungen auf Meteorhäufungseffekte. Im oberen Diagramm wird die Verteilung der zeitlichen Abstände aufeinanderfolgender visueller Meteore im August 1992 dargestellt. Sie stimmt sehr gut mit einer Exponentialverteilung überein, die für zufällig im Raum verteilte Meteoroide theoretisch zu erwarten ist. Auch die im unteren Diagramm aufgetragenen Meteorabstände bei Videobeobachtungen am 11/12. August 1993 weisen keine signifikanten Differenzen zur Theorie auf. Es ist also in beiden Fällen keine Meteorhäufung in den betrachteten Zeitskalen aufgetreten.

[Abbildung 8a]

[Abbildung 8b]

Erst die Videobeobachtung versetzt uns jedoch in die Lage, nach Clustereffekten auf kürzeren Zeitskalen zu suchen, die einem visuellen Beobachter aus den genannten Gründen entgehen würden. Legen wir die gleiche zeitliche Auflösung wie bei unserer Auswertung visueller Beobachtungen von 1992 zugrunde, zeigen auch Videobeobachtungen von 1993 keinerlei Meteorhäufungen. Gerade eine detaillierte Analyse sehr kurzer zeitlicher Abstände läßt jedoch den vermuteten Überschuß an Meteoren mit wenigen Sekunden Abstand erahnen [4], der in Zukunft noch an Hand umfangreicheren Beobachtungsmaterials bestätigt werden muß.

Radiantenuntersuchungen

Bei der computergestützten Auswertung von Meteoren fallen in großem Maßstab Positionen von Strommeteoren an. Mit ihrer Hilfe lassen sich nicht nur genaue Radiantenpositionen bekannter Ströme bestimmen und neue Meteorströme nachweisen, man kann sogar wie bei teleskopischen Meteorbeobachtungen Feinstrukturen der Radianten erkunden. Dazu müssen keine zusätzlichen Computerprogramme geschrieben werden, da bereits exzellente Software existiert.
Für den Radiantenplot in Abbildung 9 haben wir das Programm Radiant von Rainer Arlt [5] verwendet, das genau für solche Untersuchungen entwickelt wurde. Als Datenbasis dienten die Bahnen von 109 Perseiden, die bei der Auswertung unserer Beobachtungen vom August 1994 bestimmt wurden.


Abb.9: Radiantenplot für 109 Perseiden im August 1994. Obwohl die Meteore fast alle aus einer Richtung kamen und den Radianten damit künstlich in die Länge ziehen, lassen sich einzelne Teilstrukturen erahnen.

[Abbildung 9]

Leider war in diesem Jahr die Positionierung von MOVIE nicht optimal. Fast alle Beobachtungen stammen aus der Region des Sommerdreiecks, nur sehr wenige Meteore wurden dagegen orthogonal dazu in Cetus und Andromeda beobachtet. Daher muß die wahre Existenz der interessanten Strukturen, die im Perseidenradianten sichtbar werden, noch durch weitere Beobachtungen überprüft werden.

andere Auswertungen

Bei der Bearbeitung der Perseidenbeobachtungen von 1994 fiel uns auf, daß die visuell geschätzten Meteorhelligkeiten systematisch von den berechneten Helligkeiten der Videometeore abwichen. Im Anschluß an die Auswertung überprüften wir daher, ob direkte Parallelsichtungen von Meteoren diesen Effekt bestätigen, oder ob es sich um eine Täuschung handelt. Das Ergebnis dieses Tests, das genau den ersten Vermutungen entsprach, ist in Abbildung 10 zu sehen.


Abb.10: Abweichungen zwischen visuellen Helligkeitsschätzungen und Videometeorhelligkeiten. Das obere Diagramm zeigt die Verteilung der im August 1994 parallel beobachteten Meteore in unterschiedlichen Helligkeitsklassen, während im unteren Bild die absoluten Differenzen zwischen beiden Werten dargestellt werden.

[Abbildung 10a]

[Abbildung 10b]

Die 125 visuellen Helligkeitsschätzungen waren im Mittel eine Größenklasse schwächer als die Werte der zugehörigen 68 Videometeore. Nun ist zu beachten, daß die visuelle Helligkeit von Meteoren in ganzen Größenklassen erfaßt wurde, während die Videoauswertung eine Genauigkeit von 0,1 mag verwendet. Trotzdem kann das nicht die deutliche Verschiebung der Helligkeitsverteilungen erklären. Die im zweiten Diagramm von Abbildung 10 dargestellten absoluten Helligkeitsdifferenzen müßten bei übereinstimmenden Helligkeiten symmetrisch um den Nullpunkt streuen, was sie aber nicht tun. Woher die Differenzen stammen, ist noch nicht völlig klar, systematische Fehler bei der Helligkeitsberechnung durch den Computer können jedoch ausgeschlossen werden. Vermutlich läßt sich ein visueller Meteorbeobachter bei seiner Helligkeitsschätzung mehr vom Gesamteindruck des Meteors leiten, während das Videosystem exakt die maximale Helligkeit entlang der Bahn des Meteors ermittelt.
Neben solchen Tests verschiedener Beobachtungsmethoden sind noch zahlreiche weitere Untersuchungen an Videometeoren denkbar. Zu nennen wäre zum Beispiel die Meteorparallaxenbestimmung und Ableitung von Bahnelementen der Meteoroide, die eines der Hauptgebiete bei der fotografischen Meteorbeobachtung ist. Der Einsatz von Videotechnik kann auf diesem Gebiet bahnbrechende Fortschritte bringen. Zwar können die gewonnenen Meteorpositionen und Bahndaten in ihrer Genauigkeit nicht mit Meteorfotografien konkurrieren, dafür gleicht die große Zahl von Doppelbeobachtungen bei parallelem Einsatz zweier Videosysteme diesen Nachteil völlig aus. Es existieren bereits Arbeiten verschiedener internationaler Beobachtergruppen, in denen hunderte von Bahnelementen der kleinsten Partikel im Sonnensystem ermittelt und Rückschlüsse auf ihre räumliche Verteilung gezogen werden konnten ([6],[7]). Leider wurden diese Beobachtungen aber nur in begrenzten Zeiträumen gemacht. Eine dauernde Überwachung des Himmels durch zwei parallele Stationen steht noch aus und hat daher besondere Priorität. Erste Versuche von uns, zusammen mit unseren holländischen Freunden Videoparallelbeobachtungen der Perseiden vorzunehmen, schlugen auf Grund des schlechten Wetters und technischer Probleme in diesem Sommer leider fehl. Auf jeden Fall werden wir uns in Zukunft aber weiter auf diesem Gebiet versuchen.
Als weitere Anregung zur Nutzung von Videosystemen sei schließlich die Aufzeichnung von Meteorspektren genannt. Auch hier ist das Vermögen des benutzten Technik, sehr schwache Meteore aufzeichnen zu können, von unschätzbarem Wert. Man setzt bei der Beobachtung ein Objektivprisma vor die abbildende Optik und zeichnet die Spektren der sichtbaren Objekte auf. Über erreichbare Auflösungen und Grenzhelligkeiten liegen uns keine Informationen vor, da wir noch nicht von derartigen Experimenten gehört haben. Auf jeden Fall sollte eine solche Konfiguration bei vorhandener Technik einmal ausprobiert werden.

Zusammenfassung

In verschiedenen Teilen des Artikels konnte gezeigt werden, welche Potenzen im Einsatz von Videotechnik liegen. Hauptproblem beim Start auf diesem Gebiet wird die Beschaffung eines guten Bildverstärkers sein. Hat man die nötige Technik aber erst einmal zusammen, ist die Aufzeichnung des Himmels und der Meteore relativ einfach. Mehr Arbeit bereitet später die Auswertung der Videobänder, wobei die benötigten Algorithmen zum größten Teil bekannt sind. Der Autor hat ein Softwarepaket entwickelt, daß die computergestützte Auswertung von Videobändern übernimmt, und stellt es nach zukünftigen Verbesserungen gern allen Interessierten zur Verfügung.
Wer weitere Informationen zu unserem Videosystem MOVIE und dem Auswertungsprogramm wünscht, dem sei [8] und [9] empfohlen. Schließlich können wir allen Interessierten die Kopie eines Demovideos anbieten, das schon so manchem professionellen Meteorbeobachter die Sprache verschlug. Gegen Übersendung einer Spende von 30 DM an den Arbeitskreis Meteore (AKM e.V.) erhält man einen 10-minütigen Zusammenschnitt der 80 schönsten Sternschnuppen, die wir während des Perseidenmaximums 1993 aufzeichnen konnten. Für 50 DM kann man auch eine Kopie des kompletten 3-stündigen Originalvideos erhalten. Bei Interesse wende man sich bitte an den AKM oder direkt an den Verfasser.

Literatur

[1] Hawkes, R.L. et al. (1992), "Analysis Procedures for Two Station Television Meteors",
Proceedings of the International Meteor Conference 1992, 28-42

[2] De Lignie, M. et al. (1989), "Accurate Radiant Determination from TV Meteors",
Proceedings of the International Meteor Conference 1989, 41-44

[3] Molau, S. (1992), "Murphy's Effekt bei der Meteorbeobachtung?",
Mitteilungen des Arbeitskreises Meteore, 140, 5-8

[4] Molau, S. (1994), "MOVIE kontra Murphy: Gibt es vielleicht doch Meteorcluster?",
Mitteilungen des Arbeitskreises Meteore, 20-1, 6-9

[5] Arlt, R. (1992), "The Software 'Radiant' ",
WGN - Journal of the International Meteor Organization, 20-2, 62-69

[6] Suzuki, S. et al. (1994), "Multi-Station TV Observations of the 1993 Perseids",
WGN - Journal of the International Meteor Organization, 22-4, 137-139

[7] Sarma, T. et al. (1985), "Double-station Observations of 454 TV Meteors",
Buletin of the Astronomical Institute of Czechoslovakia, 36 , 9-24

[8] Molau, S. (1993), "MOVIE - Meteor Observation with VIdeo Equipment",
Proceedings of the International Meteor Conference 1993, 71-75

[9] Molau, S. (1994), "MOVIE - Analysis of Video Meteors",
Proceedings of the International Meteor Conference 1994, in Druck


Sirko Molau; letzte Änderung: 8.Dezember 1994